Crystal zog es oft in den Nächten aus dem Haus, sie durchstreifte die Stadt und Umgebung. Sie war ruhelos und an Schlaf war für sie meist auch gar nicht zu denken. Die Nächte brachten ihr selten Ruhe, weshalb sie es vorzog draußen zu sein. In der kalten Februarnacht war kein Stern am Himmel zu sehen, da eine dicke Wolkendecke sich vor den Nachthimmel geschoben hatte. Auch der Mond zeigte sich hinter den Wolken nicht. Das nasskalte Wetter lud nicht viele Geschöpfe dazu ein, sich draußen herumzutreiben. Für die Blondine war es kein Problem, dass es so war. Ihr fiel es leichter, ihre Gedanken zu ordnen, wenn sie unterwegs war. Obwohl es in dem Augenblick als sie die Tür der ehemaligen Holzfällerhütte hinter sich hat zufallen lassen nicht ihre Absicht war zu jagen, trug sie Waffen bei sich. Die hübsche Blondine verließ das Haus schon seit längerem nicht, ohne auf eventuelle Zusammentreffen vorbereitet zu sein. Ihre Hand hob sie an die Kette, welche sie um ihren Hals trug. Es war ihre Art sich zu vergewissern, dass sie diese bei sich trug. Versteckt in der Kette verbarg sie den Trank, welchen sie täglich zu sich nahm, um ihr wahres Wesen zu verbergen. Sie lehnte es ab eine Hexe zu sein, sie war nicht daran interessiert diese Art der Macht zu haben. Der Wald war dunkel, es knackte im Geäst und Unterholz. Nichts, das eindeutig genug war, um die Jägerin aufmerksam werden zu lassen. An den kleinen Tieren, die auch in der Kälte unterwegs waren, störte sie sich nicht.
Es zog die Sechsundzwanzigjährige weiter den Waldweg entlang und schließlich auf die Straße, welche in die Stadt führte.
Auf dem Gehweg schlenderte sie in die Stadt hinein. Auch die Straßen waren ziemlich leer und im Grunde kannte man es in der Stadt kaum anders. Es war spät und das Wetter nicht einladend. Es begann zu nieseln, als sie meinte, von irgendwo Stimmen zu hören. Crystal horchte auf und folgte den Geräuschen, die sie vernahm. Nach einigen Meter war es still geworden. Die Jägerin war stehen geblieben, drückte sich in die Dunkelheit eines Aufgangs und wartete ab, falls man sie gehört hat. Der Nieselregen prasselte auf die Erde herunter und klapperte auf einigen Vordächern und Markisen. Als es still blieb war sie aus der Deckung herausgekommen und näherte sich bedachter der Stelle, von der aus sie vorher glaubte, Stimmen gehört zu haben.

Crystals Abendspaziergang war kaum, dass sie die Stadt erreicht hatte nicht mehr ganz so friedlich verlaufen. Wo sie vorher noch das düstere Wetter auf ihre Art genossen hatte, empfand sie es inzwischen als störend. Die Stimmen, welche sie gehört hatte, konnte sie letztlich einem Mann und einer Frau zuordnen. Zwar gehörte sie zu der etwas verrückten Sorte Mensch, solche die nicht immer direkt davon ausgingen, es wäre das Schlimmste der Fall. Aber sie war jemand, der wachsam war. Sollte man bis zu einem gewissen Grad in ihrer Art von Beruf wohl auch sein. Sie lauschte in die Dunkelheit und als es kurz still war und nach einer Zeit wieder die Stimme einer Frau leise zu hören war, setzte sie sich wieder in Bewegung. Die junge Frau war weit davon entfernt, einfach die Augen zu verschließen oder zu gehen. Auch wenn sie nicht ganz sicher war, was genau dort vor sich ging. Einfach tun als wüsste sie von nichts und dabei riskieren jemand könnte zu Schaden kommen kam für sie nicht infrage. Da sie nur einen kleinen Spaziergang machen wollte, hatte sie natürlich nur leichte Waffen dabei. Einen längeren Dolch, Wurfmesser, eine Schusswaffe und ihre kleine Armbrust. Was eben eine Frau so brauchte, wenn sie einen Spaziergang machte. Der Dolch steckte in ihrem Stiefel, die Schusswaffe in einem Halfter unter ihrer Jacke. Die Wurfmesser waren in ihrer Jackentasche und die Armbrust war klein und handlich, so wie sie diese konzipiert und gebaut hatte. Die Ingenieurin benutzte sie nur als Sicherheitsmaßnahme, wobei sie es einfach nur als eine kleine Spielerei entworfen und gebaut hatte.
Obwohl sie nun ein paar Waffen hatte, wusste sie natürlich noch nicht was genau dort geschah. Nachdem sie sich in den dunklen Hauseingang gedrückt hatte, um sich zu verbergen, erwog sie was genau sie am besten tun sollte. Ungesehen kam sie ganz bestimmt nicht von ihrem Standort näher zu den beiden. In der Dunkelheit konnte sie die beiden nur schemenhaft ausmachen. Die kleinere Figur stand an einer Wand und war fast gänzlich von den Schatten verschluckt werden, der Rest wurde von der etwas größeren und kräftigeren Gestalt verdeckt. Crystal war sich darüber im Klaren, dass es nahezu unmöglich war nicht bemerkt zu werden, schließlich waren diese Kreaturen mit ihren geschärften Sinnen deutlich im Vorteil. Wenn es denn eine war, es könnte sich ebenso um ein turtelndes Pärchen handeln. Eingreifen und nach dem Rechten schauen könnte in diesem Fall ziemlich unangenehm sein. Sie war schließlich nicht die Verhütungspolizei oder dergleichen und hatte diesbezüglich schon zu oft Einblicke in das Liebesleben von Leuten bekommen, die nicht wussten, dass öffentliche Orte für sowas nicht gedacht waren.
Letztlich entschied sich die Blondine dafür, dass es leichter wäre mit verärgerten oder beschämten Leuten klarzukommen, als das Leben eines Menschen zu riskieren. Bewusst traut sie also auf eine am Boden liegende Getränkedose, um für ein mehr als deutlich hörbaren Laut zu verursachen. Danach lief sie weiter in diese Richtung, war jedoch deutlich aufmerksamer als zuvor. Sie war misstrauisch, wie sie es immer war und beobachtete, wenn auch nicht allzu offensichtlich, die beiden Personen. Achtete auf die Bewegung, suchte nach irgendeinem Zeichen dafür, dass sie auf wenigstens einen davon schießen konnte ohne sich lange mit Behörden streiten zu müssen. Crystal war nur noch wenige Schritte entfernt und blieb stehen. "Ist alles in Ordnung?" Die junge Frau hatte sich dem Pärchen zugewandt. Ihre Armbrust hielt sie in der Hand, sie verbarg sie nicht und spielte nicht einmal mit dem Gedanken dies zu tun. Ja, Crystal war etwas ruhiger geworden, dies nahm ihr jedoch nicht die entstandene Abneigung.

Für Crystal war eines sehr schnell klar geworden, es war ganz sicher nicht alles in Ordnung, ganz gleich was gesagt wurde. Die Frau sagte gar nichts dazu, auch wenn das, was sie vorher sagte, ihr entgangen war, wegen der Entfernung, sie sah durchaus das sie hatte gehen wollen. Darum war sie auch mit der Armbrust, welche inzwischen nicht mehr einfach nur locker in ihrer Hand lag, sondern durchaus leicht gehoben war weiter auf die beiden zugegangen. Umso näher sie kam, desto weniger sah es "normal" aus. Dabei war ihr Schwellwert für normal schon deutlich anders gelegt als bei vielen anderen Menschen. Sie trennten nur noch einige wenige Schritte von dem Duo, so dass auch ihre ‚menschlichen‘ Augen die Gesichter der beiden in den Schatten besser ausmachen konnte. "Geht es ihnen gut, Miss?", fragte sie, obwohl sie noch immer musternd über die Gesichtszüge und freie Hautstellen gleiten ließ. Für sie war es einfach normal sowas zu tun, selbst wenn sie nicht direkt sagen konnte ob es eben menschlich war oder nicht. Leichter wäre es, wenn jemand sich bewegte, denn das verriet die meisten. Was ihr auffiel war die unnatürliche Blässe auf den Wangen der Frau, sie sah auch verwirrt, womöglich sogar erschrocken aus. Crystal war bisher zwar höflich, aber ihr Misstrauen versteckte sie kein Stück. "Wahrscheinlich sollte ich sie besser nach Hause begleiten. Sie sehen ziemlich mitgenommen aus." Auch in der Hinsicht war sie einfach direkt und richtete ihre kalten Augen auf den Mann hinter ihr. Obwohl sie eine gute Schützin war, sie war alles andere als bereit das Leben eines anderen zu riskieren. Bei ihrem eigenen war sie gelegentlich etwas flexibel, aber die Frau war anders und sie war nicht da, um das Leben anderer zu zerstören. Wesen waren ein Thema für sich, die zählten bei ihr nicht.
Crystal war eigen, sie bemerkte zwar, dass der Mann optisch ansprechend war, aber solche Sachen lockten das verborgene Hexenwesen nicht. Nicht weil sie immun war, ihr Hass gegen diese Kreaturen war einfach deutlich größer als jede Anziehung sein könnte. Man könnte sagen, aus verschiedenen Gründen war sie "falsch" gepolt in dieser Hinsicht. Ihre Geduld schwand, sie hob die Armbrust weiter an, zielte auf den Kopf des Mannes. In dem Matten Licht, das dann und wann durch die Wolken blitzte, schimmerten ihre Pfeile, welche ganz symbolisch aus dem Silber eingeschmolzener geweihter Kreuze gegossen waren. Die blonde Jägerin war nicht dumm, sie war vielleicht eine Einzelgängerin, in vielerlei Hinsicht, trotzdem war auch ihr klar, dass sie nicht komplett optimal vorbereitet war. Trotzdem wies sie die Möglichkeit von sich die Frau einfach ihrem Schicksal zu überlassen. Darum nahm sie mit einer Hand ihr Handy und drückte eine Nummer, welcher dem Pager gehörte, welcher in der alten Holzfällerhütte der Jäger als Signal galt. Kein Signal welches sagte, dass andere sich aufmachen sollten oder dergleichen, nur die Vorsichtsmaßnahme unter all den Möglichkeiten. Das Handy verschwand wieder in ihrer Tasche, die Armbrust war mit einer Hand gut bedienbar, blieb darum auch wo sie war. Ebenso hielt sie es mit ihrem Blick. Sie erwog verschiedene Wege die sie nutzen konnte, um die Aufmerksamkeit von der Frau zu ziehen, damit sie gehen konnte. Gut sah sie vielleicht nicht aus, was ihren allgemeinen Zustand anging, aber so viel Selbsterhaltungstrieb sollte sie doch haben oder?